Blogbeitrag

Wenn die Wut die Gelassenheit überholt

Buddha wurde gefragt:

„Was hast du durch Meditation gewonnen?“

Er antwortete:

„Nichts! Aber, lass mich dir sagen, was ich verloren habe:

Besorgnis, Schwermut, Zorn, Unsicherheit, die Angst vor dem Altern und dem Tod.“

Es ist bewundernswert, dass Buddha einen solchen Zustand erreicht hat – einen Zustand, in dem alltägliche Gefühle, die uns wohl nicht gerade bestärken, keine Rolle mehr spielen. Persönlich muss ich mir aber eingestehen, dass ich trotz jahrelanger Meditation jeden einzelnen dieser Gefühlszustände nach wie vor kenne und mich immer wieder von ihnen überrumpelt fühle.

Ganz plötzlich sind sie da: Leute, die ohne Kopfhörer in der U-Bahn lautstark Musik hören, Menschen, die sich beim Bäcker vordrängen (und sonntags dann auch noch direkt vor meiner Nase genau das letzte Baguette wegschnappen, das ich für mich schon auserkoren hatte – gerade heute wieder erlebt), Unfreundlichkeit, Drängelei – alles Dinge, die mich noch immer zumindest innerlich aus der Haut fahren und die unterschiedlichsten Gefühle hochkommen lassen.

Und sobald ich aus der Situation weg bin und mir über meinen Unmut im Klaren werde, startet sofort ein innerer Dialog – in erster Linie ein Vorwurf an mich selbst: Müsste ich denn nicht schon ein bisschen mehr über diese Dinge stehen und gelassener reagieren? Darf ich noch wütend sein, obwohl ich in jedem einzelnen meiner Beiträge groß über Achtsamkeit und Meditation schreibe? Darf auch ich noch unachtsam sein, ohne gleich unglaubwürdig zu werden?

Falls auch du dir all diese Fragen stellst, dann interessiert dich vielleicht auch die Antwort, die ich zumindest für mich gefunden habe:

Ja, ich darf noch all diese Gefühle haben, Wut empfinden, unsicher und ungeduldig sein. Denn auch ich bin nur ein Mensch und lerne. Tag für Tag. Situation für Situation. Und schließlich sind genau die Situationen, die uns am meisten aufregen, die Situationen, bei denen es sich lohnt, näher hinzusehen.

Wenn ich über die Situation beim Bäcker nachdenke (das mir vor der Nase weggeschnappte letzte Baguette, du erinnerst dich?), so habe ich mich wohl deswegen geärgert, weil ich nicht für mich eingestanden bin und kein Wort gesagt habe, als sich die andere Person vorgedrängt hat. Die Wut, die in mir hochgekommen ist, war also nicht nur durch das Vordrängen an sich ausgelöst, sondern auch durch die Enttäuschung von mir selbst, nicht auf mich aufmerksam gemacht zu haben (und auch nicht wahrgenommen worden zu sein). Und vor allem hat die Situation auch Erfahrungen aus der Vergangenheit getriggert, nämlich Erfahrungen des Übergangen Werdens.

Vielleicht magst auch du mal darüber nachdenken, ob es Situationen gibt, in denen das Wort Gelassenheit für dich einfach nicht existiert, obwohl du es dir so sehr wünschen würdest?

Es könnte sich lohnen, dir solche Situationen und vor allem deine Reaktion darauf bewusst zu machen und herauszufinden, welcher Teil in dir reagiert/wo deine wunden Punkte liegen. Vielleicht kennst du ähnliche Situationen aus der Vergangenheit, die bestimmte Emotionen wie zum Beispiel Wut oder Trauer hochkommen lassen?

Ich persönlich glaube, dass die Situationen, in denen wir es einfach (noch) nicht schaffen, die ansonsten vorhandene Gelassenheit an den Tag zu legen, unsere besonderen Herausforderungen darstellen. Vielleicht sind es Situationen, die einen Teil von uns berühren, der sich mehr Aufmerksamkeit wünscht? Vielleicht haben wir noch etwas mit uns selbst zu bereinigen oder zu klären? Was auch immer es ist, mehr Gelassenheit in herausfordernden Situationen oder im Umgang mit schwierigen Menschen können wir dann am besten erreichen, wenn wir verstehen, warum wir so und nicht anders reagieren (können).

Wie das alles nun mit Meditation zusammenhängt? Auch darauf gibt es eine (oder bestimmt auch mehrere) Antwort(en).

Im Zuge des Retreats, das ich zu Jahresende besucht habe, wurde am letzten Tag (nachdem das Schweigen wieder aufgehoben war) von einer noch recht jungen Teilnehmerin die Frage gestellt, wie man eigentlich richtig meditiert? Sie sei nämlich bisher davon ausgegangen, dass man sich mindestens eine Stunde ruhig hinsetzen müsse.

Die Antwort des Leiters hat die Teilnehmerin ziemlich überrascht:

Nämlich, dass man Meditation am besten im Alltag erleben kann, man muss sich hierfür nicht zu Hause einschließen und stundenlang in Stille meditieren. Ganz im Gegenteil: Das Einkaufen, den Kontakt mit anderen Menschen, die Arbeit – das alles kann man zu Meditation werden lassen.

Und seien wir uns ehrlich: Wo sonst kann man Gelassenheit besser üben als in eben nicht gelassenen Situationen?

Ihr solltet Meditation üben beim Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen und Arbeiten.

Beim Händewaschen, Abspülen, Kehren und Teetrinken, im Gespräch mit Freunden und bei allem, was Ihr tut.

Wenn Ihr abwascht, denkt Ihr vielleicht an den Tee danach und versucht, es so schnell wie möglich hinter euch zu bringen, damit Ihr euch setzen und Tee trinken könnt.

Das bedeutet aber, dass Ihr in der Zeit, wo Ihr abwascht, nicht lebt. Wenn Ihr abwascht, muss der Abwasch das Wichtigste in eurem Leben sein. Und wenn Ihr Tee trinkt, dann muss das Teetrinken das Wichtigste auf der Welt sein.

(Thich Nhat Hanh, ein zeitgenössischer buddhistischer Lehrer)

Das Schöne ist: Wir sind da, um zu lernen. Jeder von uns – du genauso wie ich – geht seinen eigenen Weg und stolpert dabei zwangsweise auch über unterschiedlichste Steine. So sehe ich zum Beispiel die Situationen, die mich aus der Ruhe bringen, als solche Steine. Es liegt aber an mir, wie ich mit ihnen umgehe und in jeder Situation kann ich mich von Neuem entscheiden, ob ich der Wut oder der Gelassenheit mehr Raum lasse. Diese Wahl hast auch du.

Und Meditation bedeutet auch, mit sich selbst in Kontakt zu kommen und sich mit seiner Person (und damit auch mit all den dazugehörigen Gefühlen) auseinanderzusetzen.

Oder in den Worten von Jon Kabat-Zinn (Entwickler der MBSR, einer anerkannten Methode zum Stressabbau durch Achtsamkeit) gesagt:

In der Meditation geht es ganz einfach darum, man selbst zu sein und sich allmählich darüber klarzuwerden, wer das ist.

So gesehen könnte ja Meditation auch als Reise verstanden werden, deren Ziel unter anderem Gelassenheit sein könnte.

Seit mehr als zehn Jahren beschäftige ich mich mit Meditation und Achtsamkeit und ich habe in dieser Zeit auch die Ausbildung zur Entspannungs- und Achtsamkeitstrainerin gemacht. Hinzugekommen ist nunmehr auch meine Tätigkeit als KlangPractitioner, in der ich mich mit Klangreisen und Klangschalenmassagen beschäftige. Bewussheit und Achtsamkeit in mein tägliches Leben zu bringen, das sich dadurch sehr zum Positiven verändert hat, ist nach wie vor mein erklärtes Ziel. Weiters ist es ist mir ein Herzensanliegen, auch andere Menschen dafür zu öffnen und ihnen zu zeigen, wie hilfreich und auch leicht es ist, sich jeden Tag bewusste Glücksmomente und Zeit mit sich selbst zu schenken. Man muss sich dafür nicht zwingen, eine Stunde im Lotussitz und mit geschlossenen Augen ruhig zu sitzen und an nichts denken zu dürfen. Ich möchte dir zeigen, dass es viel einfacher ist...

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert