Als Geduld und Ungeduld einander begegneten
Einst lebten zwei völlig unterschiedliche und doch verwandte Wesen am gleichen Ort, das eine hieß Geduld – es wurde allerdings von den Menschen kaum wahr genommen, weil das andere Wesen – die Ungeduld – sich viel mehr in den Mittelpunkt zu stellen wusste. Geduld war eher unauffällig und ruhig, während Ungeduld durch die Straßen zog, sich überall vordrängte und stets zu verstehen gab, dass sie keine Zeit hatte zu warten. Ein teilweise recht unangenehmer Zeitgenosse, dachten sich die Menschen. Trotzdem war die Ungeduld allgegenwärtig und die Menschen konnten sich ihr nur schwer entziehen.
Woran das lag?
Die Ungeduld stand dafür, dass sie ihre Ziele rasch erreichen wollte, sie schnurstracks und stur ihren Weg ging (auch wenn dieser vielleicht nicht immer wohl überlegt und mit ihren Sehnsüchten im Einklang war) und Warten für sie eine pure Zeitverschwendung war. Sie hatte keine Zeit dafür, sich Gedanken zu machen, was ihre Herzensziele wirklich waren oder wahrzunehmen, was ihre Intuition sagte. Geschweige denn, sich einmal Ruhepausen zu gönnen und nichts zu tun. Nichts tun? Was müssen das nur für faule Leute sein, die so ein Bedürfnis haben.
Die Menschen, die es gewohnt waren, tagein und tagaus für ihre Arbeit zu leben und ihre tiefsten Herzenswünsche dabei zu unterdrücken, sahen die Ungeduld als das, was es zu erreichen gab. Es darf schließlich keine Zeit verloren gehen. Die Dinge mussten erledigt werden und die Ungeduld zeigte, wie das ohne Zeitverlust funktionierte. Der inneren Stimme, die sich immer wieder ganz leise meldete, kann ja auch noch später Aufmerksamkeit geschenkt werden, war das allgemeine Credo des Ortes.
Die Geduld sah sich dies lange Zeit an – zu mächtig kam ihr die Ungeduld vor. Geduldig wartete sie auf den richtigen Moment, als sie das Gefühl hatte, stark genug zu sein.
Eines Tages, als die Ungeduld wie üblich in ihrem Eiltempo die Straßen entlang fegte, stellte sich die Geduld ihr mutig in den Weg:
„Stopp, Ungeduld!! sagte sie. „Es ist Zeit, dass du mir zuhörst.“
„Zuhören? Keine Zeit, keine Zeit.“ antwortete die Ungeduld.
Die Geduld aber gab nicht nach und sagte nur:
„Die Eile ist das Gegenteil der Geduld: Ungeduldig sucht sie zu beschleunigen, was eigentlich seine Zeit braucht.“ (Jürgen Dahl)
Mit diesen Worten zischte die Geduld wieder ab und ließ eine verdutzte Ungeduld zurück.
Diese wenigen Worte hallten in der Ungeduld noch lange nach und veränderten sie von einem Moment auf den anderen. Das wurde auch für die Bewohner des Ortes spürbar, weswegen sie die Ungeduld darauf ansprachen und fragten, was mit ihr los sei.
Die Ungeduld antwortete:
Mir ist klar geworden, dass ich bisher nur durchs Leben gehetzt bin, von einem (fragwürdigen) Ziel zum nächsten. Wie viele schöne Momente habe ich dadurch verpasst, weil ich mir nie die Zeit für eine Rast genommen habe oder Zeit, um in mich hineinzuhören, was sich gerade in mir tut, womit ich mir eine Freude machen würde.
Liebe Bewohner, meine Worte, die ich nunmehr mit euch teilen möchte, solltet Ihr immer in euch tragen:
Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. (Afrikanisches Sprichwort)
Daraufhin zog die Ungeduld von dannen und war zukünftig Seite an Seite mit der inzwischen bekannt gewordenen Geduld zu sehen.
Liebe Leser und Leserinnen! Was ich euch mit dieser Geschichte mitgeben möchte:
Wir dürfen uns zwischendurch auch erlauben, weder mit noch gegen den Strom zu schwimmen, sondern dürfen einfach mal aus dem Fluss steigen, uns ans Ufer setzen und eine Pause machen.
Und wenn wir bereit dafür sind, kann genau das auch der Moment sein, wo wir – abseits vom Alltagstrubel – uns selbst lauschen und der Musik, die in uns schwingt. Nur zu, probiere es aus, du kannst nur etwas für dich dazugewinnen!

